Wenn Schwul sein über Grenzen geht
Das Projekt der Rainbow Refugees in Schwäbisch Gmünd
bigFM-Projekt Vielfalt 2023: Rainbow-Refugees unter den Gewinnern
Toleranz und Offenheit werden in unserer heutigen, kulturell vielfältigen Gesellschaft immer wichtiger. Aus diesem Grund engagiert sich der Radiosender „bigFM“ mit dem »Projekt Vielfalt« (ehemals »Initiative für Integration«) für ein multikulturelles Miteinander. In diesem Jahr fand die Preisverleihung am Donnerstag, den 22. Juni 2023 in Saarbrücken statt. Ausgezeichnet wurden ehrenamtliche Projekte und vorbildliche Konzepte, die sich für das kulturelle Miteinander einsetzen.
Unter den über 100 Bewerbungen aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, konnte dieses Jahr das Projekt »Rainbow-Refugees« der Aidshilfe Schwäbisch Gmünd e.V. überzeugen und den dritten Platz gewinnen. Dieses von Joschi Moser geleitete Projekt zielt darauf ab, vorwiegend homosexuelle Geflüchtete aufzunehmen und ambulant zu betreuen. Diese Geflüchteten haben oft multiple Traumatisierungen erlebt und benötigen daher intensive und individuelle Unterstützung. Das Projekt konzentriert sich darauf, die Integration dieser Menschen zu fördern und ihnen ein stabiles Umfeld zu bieten.
Viele Geflüchtete werden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität in ihrem Heimatland geächtet, gefoltert, verfolgt, inhaftiert und mancherorts von der Todesstrafe bedroht. Nach ihrer Flucht hört die Gefährdung nicht auf. Eine Einrichtung in Schwäbisch Gmünd bietet Schutz und Unterstützung.
Sie ist eine besondere Unterkunft: Baden-Württembergs einzige WG für schwule Geflüchtete. Bewohnt wird sie von den Rainbow Refugees. Rainbow Refugees sind LSBTTIQ* Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität aus ihrem Heimatland fliehen mussten und in einem anderen Land Schutz suchen.
Das Projekt entstand vor mehr als sechs Jahren unter dem Dach der Aidshilfe, besser gesagt, dem Zentrum für sexuelle Gesundheit. Anfang 2017 begannen die Vorbereitungen für eine Initiative, die heute im Südwesten Deutschlands als Leuchtturmprojekt gilt. Nach anfänglichen Problemen bezüglich der Zuständigkeiten von Stadt und Landkreis durfte im August desselben Jahres der erste Geflüchtete aus Indien einziehen. Wenige Tage später folgte ein zweiter aus Tschetschenien/Russland. Seitdem durchliefen 28 weitere Menschen das Projekt. Aktuell bewohnen acht Rainbow Refugees die Wohngemeinschaft.
Die Aufnahmekriterien sind streng. Geflüchtete, die schon einmal polizeilich auffällig wurden, werden abgelehnt. Auch in der Wohngemeinschaft gelten besondere Regeln: Deutschlernen ist Pflicht, ebenso die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten.
»Jemand muss auch bereit sein, sich einzufügen, sich auf den anderen einzulassen. Wir dulden keine Vorurteile unter vorurteilsbeladenen Menschen.«
Joschi Moser
Ziel ist es, nicht nur eine unerwünschte Cliquenbildung zu vermeiden, sondern den Bewohnern, die aus vielen unterschiedlichen Herkunftsländern stammen und vielfach traumatisiert sind, die Chance zu geben, zum ersten Mal ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben. Ein wichtiger Grundpfeiler des Projekts ist die gegenseitige Unterstützung und Hilfe der Geflüchteten untereinander. Nicht zuletzt, da für die meisten nur eine geringe Rückkehrchance existiert.
»Hier ist der Hinweis wichtig, dass niemand aus diesem Projekt, und zwar ausnahmslos niemand, auch nur eine geringe Chance hat, in sein Herkunftsland zurückzukehren. So gut wie alle wären im günstigsten Fall von langjährigen Gefängnisstrafen bedroht, im ungünstigsten Fall mit dem Tod aufgrund dort geltender Gesetze oder durch fälschlicherweise sogenannte Ehrenmorde durch die eigene Familie.«
Joschi Moser
Nicht zuletzt deshalb ist das Projekt Rainbow Refugees eine unglaublich wichtige Initiative, um wenigstens für ein paar wenige Menschen die Wahrung der grundlegendsten Menschenrechte sicherzustellen. Seine Reichweite geht aber noch viel weiter:
»Nach all den Jahren sind natürlich die ersten Geflüchteten bereits ausgezogen und leben heute selbständig in eigenen Wohnungen und stehen ausnahmslos im Berufsleben.«
Joschi Moser
Archivalische Quellen
> Die „Rainbow Refugees“: Hilfe für queere Geflüchtete in Schwäbisch Gmünd, in: Rems-Zeitung vom 13.03.2023 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, C03.37).
> Rainbow Refugees Schwäbisch Gmünd, Das ist Baden-Württembergs einzige WG für schwule Geflüchtet, in: Stuttgarter Zeitung vom 01.12.2022.
Verzeichnis Gespräche
> Zeitzeugengespräch mit Anonymus, 19.02.2023.
> Zeitzeugengespräch mit Joschi Moser, Vorstand Aids-Hilfe, Schwäbisch Gmünd, 28.01.2023.