Die Karl-Olga-Brücke: Steingewordene Ehrung eines schwulen Monarchen
Die Karl-Olga-Brücke ist einer der schönsten Brücken von Schwäbisch Gmünd. Künstlerisch hochwertig gestaltet überspannt sie seit 1904 den Josefsbach. Ein wichtiger Brückenschlag zwischen dem Altstadtkern und den westlichen Bezirken unserer Stadt. Ihrem Namen verdankt sie dem Königspaar Karl I. von Württemberg (1823-1891) und seiner Gemahlin Olga Nikolajewna Romanowa (1822-1892). Das Ehepaar war im Volk beliebt, nicht zuletzt aufgrund des starken karitativen Engagements der Königin. Bis heute tragen einige soziale und medizinische Institutionen in Stuttgart und Umgebung ihren Namen. Der Name Karls ist dagegen weit weniger in der Öffentlichkeit präsent. Die Erinnerung an seine Regierungszeit ist verblasst. Damit ist auch in Vergessenheit geraten, dass Karl homosexuell war. Über einen schwulen Monarchen und seine steingewordene Ehrung.[1]
Schwäbisch Gmünd, den 10. Oktober 1865. Eine Stadt im Ausnahmezustand. Seit mehreren Tagen hatten emsige Bürgerinnen und Bürger Straßen und Gassen des Ortes herausgeputzt und ihre Häuser in einem Meer von Flaggen feierlich geschmückt. Überall hingen Embleme mit den Buchstaben K und O. Hoher Besuch hatte sich angekündigt. Es galt…
„…einem geliebten Landesvater und seiner hohen, allverehrten Gemahlin zu zeigen, dass die Bewohner Gmünds an der von jeher bewährten Treue gegen ihr Herrschaftshaus noch nichts verloren haben.“
Bericht in der Zeitung „Der Volksfreund“[2]
In einem wahren Freudentaumel wurde der Sonderzug des Königspaares um 10:13 Uhr mit einem dreifach donnernden Hoch am Bahnhof empfangen, bevor es in der bereitgehaltenen Kutsche unter lautem Jubel der spalierstehenden Menschen zu den im Protokoll vorgegebenen Punkten ging: Heilig-Kreuz Münster, Rathaus, Spital und Mutterhaus der barmherzigen Schwestern in der Bocksgasse. Um 11:30 Uhr erreichten die Monarchen wieder den Bahnhof, um die Besuchsreihe in Aalen und Heidenheim fortzusetzen. Der örtlichen Begeisterung tat die schnelle Abreise keinen Abbruch. In zahlreichen Festen und Bällen erhob die Einwohnerschaft von Gmünd noch bis spät in die Nacht die Gläser, um dem freudigen Ereignis zu gedenken.
„Gott möge seinen Segen ruhen lassen auf unserem Königshause und uns noch lange erhalten, König Karl und Königin Olga.
Bericht in der Zeitung „Der Volksfreund“[3]
König Karl sollte in den Jahren seiner Regentschaft (1864 – 1891) alleine oder zusammen mit seiner Gattin noch mehrere Male Schwäbisch Gmünd besuchen. Ein wohlwollender, würdiger Empfang war ihm stets gewiss. Hier aber auch anderswo galt Karl als beliebt und geschätzt. Dazu beigetragen hatte sein milder, vergleichsweise liberaler Regierungsstil, aber auch bedeutende Fortschritte in Bildung, Wissenschaft und Infrastruktur. Seine Regierungszeit war jedoch auch von politischen Herausforderungen geprägt, die mit einem Souveränitätsverlust einhergingen: Württemberg wurde 1871 dem neugegründeten, von Preußen dominierten Deutschen Reich eingegliedert.
Die öffentliche Wahrnehmung von König Karl I. von Württemberg war von der zeitgenössischen Sichtweise geprägt, wie ein Regent zu sein habe: ein Idealbild von monarchischer Autorität und persönlicher Integrität. Der König sollte nicht nur politische und administrative Fähigkeiten, sondern auch ein starkes moralisches Vorbild sein, das die traditionellen Werte und Normen widerspiegelte. Karl tat sich schwer, diesem Wunschbild zu entsprechen. Er war anders als die meisten. Karl war schwul.
Schon früh entbrannte in ihm die Leidenschaft zum gleichen Geschlecht. Als 17-jähriger Student schrieb er glühende Liebesbriefe an den 22-jährigen Kommilitonen Adolf von Ow-Wachendorf:
„Meine Liebe für Sie ist rein, aber es ist Liebe, die wenn sie empfangen wird, in innige Freundschaft übergeht. Jeder Blick den Sie mir zuwarfen, war für mich eine Seligkeit und ich glaube, aus dem schönen Ausdruck Ihrer Augen schließen zu können, dass Sie meinen Gefühlen entsprechen.“
König Karl von Württemberg[4]
Der Öffentlichkeit blieb Karls Homosexualität lange verborgen, bis der König sich im Jahr 1883 in den Amerikaner Charles Woodcock verliebte. Woodcock, ursprünglich als Kammerherr am Hofe angestellt, strebte nach Höherem. Schon bald machten Gerüchte die Runde, die nicht nur die Beziehung der beiden thematisierten, sondern auch eine politische Beeinflussung Karls durch den jüngeren Liebhaber witterten.
„Yankee zum Regenten haben – welch ein Los, mein teures Schwaben?!“[5]
Angesicht des zunehmenden gesellschaftlichen Drucks beendete der König 1888 das Verhältnis. Der mittlerweile zum Baron de Savage aufgestiegene Amerikaner wurde mit 300.000 Mark abgefunden. Die Affäre Woodcock war damit aus der Welt, Karls Sexualität jedoch nicht. Ein vom jungen Kaiser Wilhelm II in Berlin gesteuertes Unterfangen, den skandalösen Monarchen zur Abdankung zu bewegen, scheiterte. Karl selbst tröste am Ende seines Lebensweges eine neue Liaison mit dem 35-jährigen Wilhelm Georges, einem Maschinenmeister des Hoftheaters, über vergangene Unbill hinweg.
Als er schließlich am 06. Oktober 1891 starb, zollte ihm ganz Württemberg größten Respekt. In Schwäbisch Gmünd gedachte Adolph Untersee, der als erster Gmünder den Titel eines Oberbürgermeisters von König Karl erhalten hatte, und der Gemeinderat seiner.[6] Gemeinsam wurde der Beschluss gefasst, an den neuen König Wilhelm II. und die Königin-Witwe Olga Beileidsbekundungen zu schicken.[7]
Das sollte nicht die letzte Ehre sein, welche Schwäbisch Gmünd ihrem verstorbenen Regenten zuteilwerden ließ. Im Zuge der westlichen Erweiterung der Stadt benannte der Gemeinderat nach dem Tod Olgas, die 1892 gestorben war, zwei neu entstandene Straßen nach dem Königspaar. Beide Straßennamen haben sich nicht erhalten und tragen heute andere Namen. Die König-Karl-Straße traf es als Erstes. Als der Gmünder Ehrenbürger Karl Haußmann 1940 starb, benannte man sie in Haußmannstraße um.[8] Die Olga-Straße erlebte 1958 ein ähnliches Schicksal. Die Stadtoberen wollten in der Regierungszeit seines Enkels, des Oberbürgermeisters Julius Klaus, einem weiteren Ehrenbürger von Schwäbisch Gmünd gedenken. In Erinnerung an Bruno Klaus widmeten sie die Olga-Straße in Rektor-Klaus-Straße um.[9] Einem dritten Gmünder Ehrenbürger, dem Unternehmer Hermann Erhard, ist es schließlich zu verdanken, dass die Namen Karls und Olgas dennoch im Stadtbild erhalten blieben. In einem Brief an OB Klaus erklärte er, dass die Olga-Straße, wie die vergangene Karl-Straße, auf eine bedeutsame Regierungsperiode hingewiesen hätten. Mit einem Hinweis auf die spezielle familiäre Konstellation in diesem Fall führte er an:
„Immerhin glaube ich im Sinne Ihres, von mir sehr verehrten Großvaters wie im Sinne meines Vetters, Karl Haußmann, die beide einen ausgeprägten Sinn für geschichtliche Autoritäten hatten, zu reden, wenn ich zu erwägen bitte, ob nicht hier eine kleine Wiedergutmachung alles wieder in schönster Weise ins Blei bringen könnte.“
Brief Herman Erhard an OB Julius Klaus, 01.07.1958[10]
Allerdings waren seine Vorschläge, die Brücke zwischen Rektor-Klaus-Straße und Bahnhofsplatz oder gleich die ganze Uferstraße umzubenennen, nicht praktikabel. Rettung versprach OB Klaus Idee, der bisherigen Goethe-Brücke einen neuen Namen zu geben, da sie im Baustil der Königszeit entstand. Das Konzept war mehrheitsfähig. Bei zwei Stimmenthaltungen erging der Beschluss, für die bisherige Goethebrücke den Namen Karl-Olga-Brücke einzuführen. [11] Um das Ganze noch würdiger zu gestalten, erhielt das Stadtbauamt den Auftrag, die Namen des Königpaars am Brückenkörper anzubringen[12]. Schwäbisch Gmünd erhielt so eine steingewordene Erinnerung an seinen homosexuellen König.
Literaturverzeichnis
> Herrmann, Klaus Jürgen: Kennt ihr sie noch … die von Schwäbisch Gmünd, 1984
> Sauer, Paul: Regent mit mildem Szepter, Stuttgart 1999.
> Rauch, Udo: König Karl von Württemberg, „Nur die Verirrung war sein Unglück“, in: Blattner, Evamaria/Ratzenburg, Wiebke/Rauch, Udo (Hg.): Queer durch Tübingen, Geschichten vom Leben, Lieben und Kämpfen, Tübingen 2021, S. 66-80.
> Walter, Jürgen: Die Woodcock-Affäre. Eine männliche Mätresse am Stuttgarter Hof, in: Jürgen Walter, Lust und Macht. Mätressen an drei deutschen Höfen, Mühlacker 2010, S. 189-220.
Archivalische Quellen
Der Volksfreund, Bericht über den Besuch Karls und Olgas in Schwäbisch Gmünd am 10.10.1865, 12.10.1865, Nr. 114 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C03.5, Bd. 4).
> Gemeinderatsprotokoll 1891, 6. Oktober 1891 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 64).
> Gemeinderatsprotokoll (öffentlich) vom 25.01.1940, S. 16f (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 130).
> Gemeinderatsprotokoll (nichtöffentlich) vom 13.03.1958, S. 86-89 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 199).
> Gemeinderatsprotokoll (öffentlich) vom 10.04.1958, S. 99-101 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 198).
> Gemeinderatsprotokoll (nichtöffentlich) vom 10.07.1958, S. 196. (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 199).
> Brief Hermann Erhard an Julius Klaus, 01.07.1958 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A07, Bü. 551_2).
> Gmünder Tagespost, 19.09.1960 S. 5 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C03.18, Bd. 4).
> König Karl der I. von Württemberg, Friedrich Brandseph, Wikipedia
> Karl auf 5-Mark-Münze, 1876. Gerd Seyffert, Wikipedia
> Die damalige Goethe-Brücke, 1909 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. E05, Nr. 44)[13]
[1] Zu Karls Regierungszeit siehe: Sauer, Paul: Regent mit mildem Szepter, Stuttgart 1999.
[2] Der Volksfreund, Bericht über den Besuch Karls und Olgas in Schwäbisch Gmünd am 10.10.1865, 12.10.1865, Nr. 114 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C03.5, Bd. 5).
[3] Ebd.
[4] Brief König Karls von Württemberg an Adolf von Ow-Wachendorf. Bisher unveröffentlicht. Zitiert nach Rauch, Udo: König Karl von Württemberg, „Nur die Verirrung war sein Unglück“, in: Blattner, Evamaria/Ratzenburg, Wiebke/Rauch, Udo (Hg.): Queer durch Tübingen, Geschichten vom Leben, Lieben und Kämpfen, Tübingen 2021, S. 71.
[5] Kleine Georg: Der württembergische Ministerpräsident Freiherr von Mittmacht (1825-1909), Stuttgart 1969, S. 16. Zitiert nach Rauch, Udo: König Karl von Württemberg, S. 77.
[6] Herrmann, Klaus Jürgen: Kennt ihr sie noch … die von Schwäbisch Gmünd, 1984, S. 69.
[7] Gemeinderatsprotokoll vom 6. Oktober 1891, (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 64).
[8] Gemeinderatsprotokoll (öffentlich) vom 25.01.1940, S. 16f (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 130).
[9] Gemeinderatsprotokoll (nichtöffentlich) vom 13.03.1958, S. 86-89 und Gemeinderatsprotokoll (öffentlich) vom 10.04.1958, S. 99-101 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 198 und 199).
[10] Brief Hermann Erhard an Julius Klaus, 01.07.1958 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A07, Bü. 551_2).
[11] Gemeinderatsprotokoll (nichtöffentlich) vom 10.07.1958, S. 196. (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. A11, Bd. 199)
[12] Die Namen wurden schließlich durch den Bildhauer [Albert oder Bernd?] Stegmaier in den Geländerblock der Brücke eingemeißelt. Siehe dazu: Gmünder Tagespost, 19.09.1960 S. 5 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C03.18, Bd. 4).