Homosexualität im Fußball – Vorreiterin Frauenfußball?
Anstoß! Es ist Juni 2024 und die Europameisterschaft der Männer in Deutschland ist in vollem Gange. Unter den 621 teilnehmenden Fußballprofis der 21 teilnehmenden Länder gibt es keinen geouteten schwulen Mann. Homosexualität ist in der Welt des Männerfußballs noch immer ein Tabuthema. Wirft man einen Blick auf die Welt des Frauenfußballs merkt man schnell, dass diese bereits viel weiter ist. An der Weltmeisterschaft der Frauen in Australien und Neuseeland im letzten Jahr nahmen über 100 offen lesbisch lebende Fußballerinnen teil. Was läuft im Frauenfußball besser als bei den Männern und wie lässt sich die vermeintliche Vorreiterin-Rolle erklären?
Geschichtliche Hintergründe
Um die heutige Rezeption des Frauenfußballs und seiner Spielerinnen zu verstehen, lohnt sich ein Blick in deren Anfänge. Die damals 19-jährige Lotte Specht suchte 1930 mit Hilfe einer Zeitungsannonce in den Frankfurter Nachrichten nach anderen Frauen, um gemeinsam einen Fußballverein zu gründen. Der Aufruf war erfolgreich und wenige es gründete sich wenige Wochen später wurde der „1. Deutsche Damen Fußballclub“ (1.DDFC) ins Leben gerufen. Nach öffentlichen Anfeindungen löste sich der Verein bereits ein Jahr später wieder auf. Im aufkommenden Nationalsozialismus war für Frauen eine klare Rolle vorgesehen – sie sollten als Mütter und Hausfrauen ihren Familien, Männern und dem deutschen Volke dienen. Die Ausübung einer Sportart gehörte nicht in dieses Bild.
Während nach dem Zweiten Weltkrieg das Interesse der Frauen an selbstorganisierten Vereinen wieder zu wachsen schien, ging der DFB 1955 mit einem Verbot rigoros dagegen an. Frauen war es ab sofort untersagt, in Vereinen Fußball zu spielen.
Erst 1970 hob der DFB das Verbot auf und reihte sich damit in einen Zeitenwandel ein, der von der Neuen Frauenbewegung und immer mehr aktivistischen Homosexuellen und queeren Menschen geprägt war. Während männliche Homosexualität noch bis 1994 unter Strafe stand ( Verlinkung Text §175) war weibliche Homosexualität lange Zeit von Unsichtbarkeit geprägt. Wurde sie dennoch als solche wahrgenommen, dann meist zur Befriedigung des männlichen Blickes oder aber lesbische Frauen wurden als „Mannsweiber“ betitelt. „Lesbierin“ galt als Schimpfwort und war eng verbunden mit den neuen Feministinnen, die stets unter Generalverdacht der Homosexualität gestellt wurden.
Hier lässt sich eine Brücke zu den Fußballerinnen jener Jahre herstellen, die ebenfalls mit dem Generalverdacht zu kämpfen hatten, sie seien alle „Kampflesben“ und „Mannsweiber“. Nicht nur drangen Frauen plötzlich in eine sportliche Männerdomäne ein, deren Zugang ihnen davor systematisch verwehrt wurde, Ihnen wurde auch ihre Weiblichkeit abgesprochen und den Männern ihr „exklusive[r] Anspruch auf Männlichkeit“[1] genommen. Plötzlich kämpften und grätschten auch Frauen um das „Runde, das ins Eckige gehört.“ Die Rems-Zeitung titelte 1970 kurz nach der Aufhebung des DFB-Verbots „Damenfußball – Volksbelustigung für Männer“[2]. Im entsprechenden Artikel wird der damalige Zeitgeist und die anfängliche Haltung zum Frauenfußball spürbar.
„[…] der Chronist […] schrickt zurück vor der Vorstellung, daß sich junge, hübsche Mädchen gegenseitig auf die Schienbeine „klopfen“, daß sie sich rempeln, daß sie sich nach einer Verletzung vom Platz tragen lassen müsse, mit schmerzverzerrtem Gesicht und bar jeder weibliche Anmut.“
Rems-Zeitung, 10. November 1970
Rezeption des Frauenfußballs in der Gesellschaft
Das männliche Bild des Frauenfußballs hatte mit den damaligen kulturellen und sozialen Normen zu tun. Während man sich anfangs noch Gedanken um die „hübschen jungen Mädchen“ machte, verfestigte sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte das Klischee der fußballspielenden „Mannsweiber“ mit kurzen Haaren und „homosexuellen Neigungen“.
Eng verbunden mit der Frauenbewegung, hatte sich die Lesbenbewegung die ab den 1970ern bis dato als „männlich“ geltenden Domänen wie Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit zu Eigen gemacht. Daher ist es kaum verwunderlich, dass sich auch vermehrt Lesben im Fußball wiederfanden. Lesbische Frauen weichen qua ihrer Sexualität bereits von den gängigen heteronormativen Rollenbildern ab und haben somit vielleicht weniger Probleme, sich einem männlich assoziierten Sport anzuschließen. Zudem kann das Stereotyp der lesbischen Frau im Fußball dazu führen, dass sich ebendiese lesbischen Frauen mehr zur Sportart hingezogen fühlen, da sie dort auf Akzeptanz und Repräsentation stoßen.
Ein Coming-Out im Frauenfußball überrascht heutzutage nicht. Das Tabu, welches den Männerfußball dominiert, ist hier keines. Genauso verhält es sich beispielsweise mit Männern im Ballett. Lesbische Frauen in einem vermeintlich männlichen Sport werden ähnlich wahrgenommen wie schwule Männer in einem vermeintlich weiblichen Sport. Beides wird gesellschaftlich nicht als überraschend oder unpassend wahrgenommen, da die Geschlechterstereotypen mit den Klischees der jeweiligen Sportart übereinstimmen: Ballett gilt als weicher, zarter und weiblicher Sport, während Fußball mit Kampf, Schweiß, Härte und „Männlichkeit“ assoziiert wird. Dieses Erfüllen des „toxischen Männlichkeitsideals“ fehlt beim Frauenfußball und fällt als eine von vielen Hürden für ein Coming-Out somit weg.
Einfluss von Fans und Medien
Sichtbarkeit in Medien ist wichtig: wichtig, um Anerkennung und Wertschätzung zu zeigen, wichtig, um Vorbilder zu schaffen und nicht zuletzt wichtig, um lukrative Sponsorendeals einzufangen. Während vor allem über Profifußballer fast tagtäglich berichtet wird, sowohl in sportlichem als auch privatem Kontext, handelt nur ein Bruchteil der Sportberichterstattung im Fernsehen, in der Zeitung oder auf den immer relevanter werdenden Social-Media-Kanälen von Frauensport. Gleichwohl ist ein langsamer Wandel zu beobachten, wie beispielsweise bei der letzten Fußball Weltmeisterschaft der Frauen 2023 in Australien und Neuseeland, die regelmäßige Marktanteilrekorde bei der Spielübertragung einbrachte.
Da es mittlerweile viele offen lebende lesbische Profispielerinnen gibt, werden neue „Coming-Outs“ in den klassischen Medien kaum noch thematisiert. Zudem äußern sich auch immer wieder bekannte heterosexuelle Akteurinnen der Fußballwelt zu der Thematik und unterstreichen Ihre Unterstützung sowie die inklusive Atmosphäre im Frauenfußball.
Diese Atmosphäre lässt sich auch auf die Fankultur übertragen. Der Anteil an Frauen und Familien in den Fankurven ist beim Frauenfußball deutlich höher als beim Männerfußball. Es gibt weniger Ausschreitungen, kaum Pöbeleien und nur selten aggressive und beleidigende Fangesänge. Eine der großen Ängste vor einem Coming-Out beim Männerfußball ist die Reaktion der Fans. Immer wieder hört man homophobe und diskriminierende Fangesänge aus den Kurven – ohne dass dabei ein wirklich offen lebender schwuler Mann auf dem Feld steht. Die Sorge, was passieren könnte, sollte der erste geoutete Profispieler in einem Stadion auflaufen, scheint somit nicht unbegründet. Um dieser Angst entgegenzuwirken, gibt es Vereine wie den der „Fußballfans gegen Homophobie“, der sich die Bekämpfung von Diskriminierung in der Fanszene auf die Fahne geschrieben hat.[3]
Vorbild Frauenfußball
Die Gründe, sich als schwuler Profifußballer gegen ein Outing zu entscheiden, sind komplex. Niemand kann und sollte dazu gezwungen werden. Vielmehr sollte die Schaffung eines toleranten Klimas als kollektive Verantwortung aller Beteiligten eine Priorität sein. Dies fängt bei der Fußballmannschaft als solche an und geht weiter bis zu Funktionär:innen, Fans und Medien. Eine inklusivere Atmosphäre, wie sie beim Frauenfußball zu beobachten ist, kann die Rahmenbedingungen für ein Outing positiv beeinflussen.
Es bleibt jedoch festzuhalten, dass der Frauenfußball in Deutschland noch immer strukturell benachteiligt ist. Sowohl in medialer als auch in finanzieller Hinsicht. Und nur, weil es lesbischen Spielerinnen einfacher gemacht wird, heißt das nicht, dass der Frauenfußball bereits am Ende der Gleichberechtigung und Chancengleichheit angekommen ist. Noch immer gehört Sexismus zum Alltag von Fußballerinnen – egal welcher Sexualität.
Klar ist auch, dass Homophobie und Sexismus weniger spezifische Probleme im Fußball sind, sondern vielmehr gesamtgesellschaftliche Themen, auf die aufmerksam zu machen gilt.
„In unserer Mannschaft ist es egal, wer welche Sexualität hat. Bei den Spielen feuern uns sowohl die Partner als auch die Partnerinnen lautstark an! Zudem läuft unsere Kapitänin in jedem Spiel mit einer Regenbogenbinde am Arm auf, damit wir auch symbolisch ein Signal setzen.“
Aktuelle Spielerin 1.FC Normannia Gmünd
Literaturverzeichnis
> 100 Jahre 1.FC Normannia Gmünd Chronik [Hrsg.: 1.FC Normannia Gmünd], 2004.
> https://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/11896-Informationsbroschuere_Fussball_und_Homosexualitaet.pdf
> Bayramoğlu, Yener: Die kriminelle Lesbe. Die Kriminalisierung des lesbischen Subjekts in den 1970er-Jahren in der BILD-Zeitung. In: Ders. [Hrsg.]: Queere (Un-)Sichtbarkeiten. Die Geschichte der queeren Repräsentationen in der türkischen und deutschen BoulevARDpresse, Bielefeld 2018, S. 223-235.
> Hetero, weiß und männlich? Fußball ist viel mehr! [Hrsg. Friedrich Ebert Stiftung], Bonn 2011.
Archivalische Quellen
> Rems-Zeitung 10.11.1970 (Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C03.37).
[1] Vgl.: Bayramoğlu, Yener: Die kriminelle Lesbe. Die Kriminalisierung des lesbischen Subjekts in den 1970er-Jahren in der BILD-Zeitung. In: Ders. [Hrsg.]: Queere (Un-)Sichtbarkeiten. Die Geschichte der queeren Repräsentationen in der türkischen und deutschen BoulevARDpresse, Bielefeld 2018, S. 223-235.
[2] Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Best. C03.37, Bd. 228.
[3] Siehe dazu: https://www.tebe.de/fussballfans-gegen-homophobie/ [Letzter Aufruf: 01.07.2024, 15:22 Uhr]