Buntes Leben auf Zelluloid – Gmünds queere Kinogeschichte
Die queere Kinogeschichte in Deutschland ist ein faszinierendes Kapitel der Filmkultur, das sich über mehr als ein Jahrhundert erstreckt und mit gesellschaftlichen Veränderungen, politischen Kämpfen und kulturellen Umbrüchen verwoben ist. Besonders spannend ist es, diese Geschichte – sofern möglich – mit lokalen Bezügen von 1919 bis 1990 zu beleuchten.
Turm III
Mein Schulweg war nie geradlinig. Es gab unzählige Möglichkeiten, ihn täglich neu zu gestalten. Vor allem nach der Schule boten sich unzählige Gelegenheiten, ihn kreativ zu verändern. Eins durfte aber nie auf meinen Streifzügen fehlen: Das Ritual, an den Schaukästen der Gmünder Kinos vorbeizulaufen. Das Parler, Rex und Turm oder die Kinoplakate des KKFs in der Unterführung, zwischen Stadtgarten und Bahnhof boten Anreize, minutenlang davor zu verharren, um sich vorzustellen, welche Geschichten sich hinter den sensationellen Aufmachungen im Format A1 verbargen. Es war eine Möglichkeit, die Schranken, die einem die FSK und die doch meist etwas betagten Kontrolleurinnen am Eingang der Kinosäle setzten, schlichtweg zu unterlaufen.
Ich habe damals unzählige Kinoplakate betrachtet. Die meisten sind vergessen. Doch als ich begann, mich für queere Filmgeschichte zu interessieren, fiel mir eins wieder ein, das viel über die gesellschaftlichen und kulturellen Normen der 1970er und 1980er Jahre in Schwäbisch Gmünd aussagt.
Es hing im Aushang für den kleinsten Kinosaal von Gmünd: Turm III. In räumlicher Enge von wenigen Sitzreihen wurden dort meistens Spartenfilme gezeigt. Darunter befanden sich vergeistigte Streifen für Intellektuelle, schräge B-Movies oder Hong-Kong Knochenbrecher-Filme für das einfach gestrickte Publikum. Mein Kinoplakat gehörte zu keiner der genannten Kategorien. Auf ihm stand: Erwachsenenfilm. War das auch der Titel? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Der Film schien beliebt zu sein. Das Kino-Plakat hing sehr oft. Anscheinend zeigte man denselben Film immer wieder. Vielleicht ein Klassiker, der wegen der enormen Nachfrage immer wieder ins Programm rutschte. Dabei war das Motiv sehr bieder: Ein eng umschlungenes Paar im Jeanslook der 1970er stand in der Landschaft herum. Die zwei sahen irgendwie verloren aus. Zumindest war es eine deutsche Produktion. Das schloss ich aus dem Namen des Verleihs: Beate Uhse. Erst später erklärte mir ein Freund mit wissendem Lächeln, um welche Art von Film es sich hier handelte. Um genau zu sein: Es handelte sich um Filme, die ähnliche Inhalte hatten. Der Einfachheit halber sparte man sich die Gestaltung neuer Plakate. Ein neutrales reichte.
Heute bin ich immer noch baff, mit welcher Leichtigkeit zu jener Zeit heterosexuelle Hardcore-Pornofilme und andere Arten von „Schmuddelfilmen“ in Schwäbisch Gmünd gezeigt werden konnten. Sie wurden im Kontext der sexuellen Revolution der 1960er und 1970er Jahre, die eine Lockerung der moralischen Vorstellungen und eine zunehmende Offenheit gegenüber sexuellen Themen mit sich brachte, auch in Gmünder Kinosäle gespült. Heterosexuelle Pornografie konnte sich in diesem Klima als kommerziell erfolgreiches und weithin akzeptiertes Genre etablieren. Queere Filme dagegen hatten keine Chance. Das sagt viel über die gesellschaftlichen und kulturellen Normen und Vorurteile dieser Zeit aus. Diese Diskrepanz spiegelt tief verwurzelte Heteronormativität wider. Trotzdem gab es sie, die anderen. Der weltweit erste schwule Film trägt das vermeintliche Anderssein sogar im Titel: „Anders als die Andern“. Auch wenn sie nicht immer sichtbar waren, waren sie doch da. Zeit, eine lokale, sicherlich unvollständige Auflistung zu erstellen.[1]
Frühe Anfänge: „Anders als die anderen“
Der 1919 erschienene Film „Anders als die Andern“ von Richard Oswald gilt als der erste explizit queere Film der Filmgeschichte und markierte einen mutigen Schritt in einer Zeit, in der Homosexualität in Deutschland noch strafbar war. Der Film erzählt die tragische Geschichte eines Geigers, der aufgrund seiner sexuellen Orientierung erpresst und letztendlich in den Selbstmord getrieben wird. Dieser Film war nicht nur ein Meilenstein für die queere Filmgeschichte, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über die Abschaffung des §175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. In Schwäbisch Gmünd wurde der Film wahrscheinlich nie gezeigt, da man ihn 1920 verbot und fast alle Kopien vernichtete. Eine überlebte im Zentralen Staatsarchiv der UdSSR.
„Mädchen in Uniform“
Als erster lesbischer Film gilt das 1931 entstandene Drama „Mädchen in Uniform“. Er spielt in einem preußischen Mädcheninternat und erzählt eine Liebesgeschichte zwischen einer Lehrerin und einer Schülerin. Der Film, der von Leontine Sagan inszeniert wurde, war seiner Zeit voraus und gilt heute als ein Klassiker des queeren Kinos. Die Offenheit und Sensibilität, mit der das Thema behandelt wurde, machten ihn zu einem kulturellen Phänomen, das weit über Deutschland hinaus Aufmerksamkeit erregte. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde „Mädchen in Uniform“, trotz lesbischer Kussszene, nicht verboten. Ein gleichnamiges Remake von 1958 mit Romy Schneider und Lilli Palmer kommt dagegen nicht gegen das Original an. Vielleicht weil die politische Kritik und die Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren doch stark abgeschwächt wurde.
Anders als du und ich (§ 175)
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 endete die kurze Zeit, in der queere Filme produziert werden konnten. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es eine Weile, bis queere Themen wieder ihren Weg auf die Leinwand fanden. Grotesk mutet es dabei an, dass kein geringerer als Veit Harlan, Regisseur des antisemitischen Propagandafilms „Jud Süß“ einen Film inszenierte, der den während des Nationalsozialismus erheblich verschärften § 175 behandelte. Die Quintessenz dieses kruden Machwerks ist dann dementsprechend: Ein möglicherweise homosexueller Junge findet durch den Geschlechtsverkehr mit einer Frau seinen Weg zurück zur Heterosexualität.
Turbulente Zeiten: Sexualrevolution und Modernisierungsprozesse
Die 1970er Jahre waren geprägt von den Auswirkungen der sogenannten „Sexuellen Revolution“ und der zunehmenden Liberalisierung der Gesellschaft. Die strengen Zensurgesetze lockerten sich und ermöglichten es, offenere und explizitere Darstellungen von Sexualität auf die Leinwand zu bringen. Dies spiegelte sich auch in der Kinolandschaft wider, wo eine Flut von „Schmuddelfilmen“ und Hardcore-Pornos auf die Leinwände kam. In Gmünd zeigten kleine und große Kinosäle „Erwachsenenfilme“. Die explizite Darstellung von gleichgeschlechtlichem Begehren jedoch blieb weiterhin ein Tabu und fand kaum Platz im Mainstream-Kino.
„Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“
Ein bedeutendes Filmwerk in der queeren Kinogeschichte war Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von 1971. Der Film sorgte für heftige Diskussionen und Polarisierungen, indem er die gesellschaftliche Unterdrückung und Diskriminierung von Homosexuellen thematisierte. In Gmünd wurde dieser Film wie in vielen anderen Städten wahrscheinlich nicht gezeigt. Es gab noch keine Plattform für queere Filme, die im Mainstream weiterhin auf Widerstand stießen.
Tumulte im Turm-Kino: „Taxi zum Klo“
Eine besonders turbulente Episode in der Gmünder Kinogeschichte ereignete sich, als der Film „Taxi zum Klo“ von Frank Ripploh im Turm-Kino gezeigt wurde. Der 1981 veröffentlichte Film, der das Leben eines schwulen Lehrers und seine Suche nach sexueller und emotionaler Erfüllung schildert, führte zu kleineren Tumulten. Viele Zuschauer waren empört und fühlten sich getäuscht, da sie einen Hardcore-Porno für Heteros und keinen Film, der schwules (Sex-) Leben ungeschönt zeigt, erwartet hatten.
„Die Leute waren entsetzt. Vor mir zog einer die Nase so hoch, als würde er gleich danach ausspucken. Einer nach dem anderen verließ den Kino-Saal.“
Joschi Moser
Alternative Kinos: Das Brazil-Kino (KKF) in Gmünd
In Reaktion auf die konservativen Mainstream-Kinos entstanden in den 1970er und 1980er Jahren überall in der Bundesrepublik alternative Abspielstätten, die sich der Förderung unabhängiger und oft kontroverser Filme verschrieben. In Gmünd entstand das Brazil-Kino (KKF), das sich als wichtige Plattform für queere Filme etablierte. Hier fanden Filme, die anderswo auf Widerstand stießen, ein offenes und interessiertes Publikum.
Integration und Mainstream
In den 1990er Jahren fanden queere Themen zunehmend Eingang in den Mainstream. Diese Entwicklung wurde durch verschiedene gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen begünstigt, darunter die zunehmende Sichtbarkeit und Akzeptanz der LGBTQ+-Community. Filme wie „Philadelphia“ (1993) und „Priscilla – Königin der Wüste“ (1994) erzielten kommerziellen Erfolg und wurden von der Kritik gelobt. Sie eröffneten einem breiteren Publikum Einblicke in queere Lebenswelten.
Ausblick: Das erste queere Kinofestival in Gmünd
Die queere Kinogeschichte Gmünds ist reich an bedeutenden Ereignissen und Entwicklungen, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken. Ein besonders spannender Aspekt der Gegenwart ist das erste „Queer Film Festival Gmünd – QFFG“, das in einem eigenen Artikel behandelt wird.
Literaturverzeichnis
> Kay, Manuela/Schock, Axel: Out im Kino! Das lesbisch-schwule Filmlexikon, Berlin 2003.
[1] Einen seriöseren Zugang zu Gmünds Kinowelt bietet: Kleinhans, Bernd: Kinos in Gmünd, 1897 – 1945, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Nr. 10, Schwäbisch Gmünd 2005.