Anonymer Beitrag
Morgens Sünde, abends Pride – queerer Schulalltag heute
Wie fühlt es sich an, als queere Person auf eine weiterführende Schule zu gehen? Zwischen dem Druck, sich anzupassen, und dem Bedürfnis nach Selbstakzeptanz? Für viele SchülerInnen ein Balanceakt. Der vorliegende Text vermittelt einen persönlichen Einblick in den Schulalltag einer queeren Schülerin und ihrer Suche nach Akzeptanz in einem oft intoleranten Umfeld.
Ich heulte zu “I kissed a girl”.
Es ist traurig, dass Katy Perry mir die Augen geöffnet hatte: ich hatte einen Crush[1] auf meine Schulfreundin…damn[2].
So wusste YouTube schon vor mir, was meine komplizierten Gefühle für meine Freundin bedeuteten und lieferte mir die Erklärung für etwas, das ich noch nicht bereit war selbst zu akzeptieren. Stattdessen heulte ich erstmal – denn in mein religiöses Umfeld passte diese Erkenntnis überhaupt nicht.
Die Erwartungen meiner Umwelt unterschieden sich plötzlich komplett von meiner neu entdeckten Identität als queere Person.
Ich kam zu dem Schluss, dass es sehr wahrscheinlich eine schlechte Idee wäre, meinen katholischen Mitschülern von meinem kleinen Crush zu erzählen und überhaupt, um Rat zu fragen. Stattdessen suchte ich im Internet nach Lösungen für mein Dilemma. Auf Social Media konnte ich ohne Vorurteile mit anderen queeren Jugendlichen relaten[3] und connecten[4]. So lernte ich die queere Szene und LGBTQ+ Community kennen.
Im Laufe der Zeit merkte ich, wie ich zwei Rollen spielte: Zuhause, auf Social Media, war ich Teil der queeren Community; und in der Schule spielte ich die Rolle der angepassten katholischen Musterschülerin.
Besonders deutlich erfuhr ich die Ablehnung meiner Identität als queere Person im Religionsunterricht.
Es heißt „Adam und Eve“ und nicht „Adam und Steve“. Schließlich ist der Sinn einer Ehe die Zeugung eines Kindes, was bei homosexuellen Paaren unmöglich ist. Das ist keine Kritik oder Ablehnung, sondern die theoretische Wahrheit aus katholischer Sicht, oder?
Mit dieser Begründung erklärte mein damaliger Religionslehrer ganz logisch, weshalb Homosexualität daher laut der Bibel falsch sei.
Doch obwohl Homosexualität nicht der „natürlichen Ordnung“ entspreche, so dürfe sie nicht verurteilt werden, stattdessen müsse man die betroffenen Menschen auf ihrem Weg zur Erlösung unterstützen und begleiten.
Im Grunde war das, was ich bin immer noch falsch, aber Grund für Diskriminierung war meine Identität trotzdem nicht. Wow – jetzt fühle ich mich besser – ist ja nur so, dass ich anscheinend schon mit meiner bloßen Existenz falsch liege.
Ich muss mich nicht einmal aktiv darum bemühen, Fehler zu begehen. Ich bin schon einer, ohne etwas dafür tun zu müssen.
Auslöser der Diskussion im Religionsunterricht war eine Pride-Flagge, die an dem Schulgebäude befestigt wurde – für einen ganzen halben Tag, bevor sie wieder von den Hausmeistern abgehängt wurde. Nach einem halben Tag Pride an der Schule folgten die Diskussion im Religionsunterricht und ein Elternabend, bei welchem sich die Eltern lautstark über diesen abnormalen Akt der Rebellion beschwerten.
Ich frage mich manchmal, ob die Mitschüler, Lehrer und Eltern wissen, welche Auswirkungen ihre Worte auf die Betroffenen haben. Ob sie wissen, wie ihre Worte und Taten Menschen ausgrenzen, aufgrund von Eigenschaften, mit denen sie geboren wurden.
Der Unterschied wie Queerness während meiner Schulzeit ignoriert wurde, im Gegensatz zu dem wie Queerness auf Social Media repräsentiert ist, ist enorm.
Morgens Sünde, abends Pride. Ausgeschlossen und aufgenommen. Mein Leben ein Theaterstück.
Erst als ich mich aus dem Umfeld meiner alten Schule entfernte, wurde mir bewusst, was meine Schulzeit für Wunden hinterließ. Erst als ich dann später auch außerhalb on Social Media Akzeptanz erfuhr, wurde mir bewusst, dass meine Queerness davor nicht akzeptiert wurde. An meiner neuen Schule traf ich Menschen verschiedener Herkunft, Religion und Identität, sodass meine Queerness plötzlich normal war. Das erste Mal spielte meine sexuelle Orientierung, auch außerhalb von Social Media, keine Rolle in mehr.
Menschen unterscheiden sich und diese Unterschiede ändern nichts an dem Wert des Einzelnen. Ich bin nicht mehr oder weniger wert als andere Menschen, wegen meiner sexuellen Orientierung oder meiner Identität. Genauso, wie Menschen anderer Herkunft oder Religion auch nicht mehr oder weniger wert sind, als andere Menschen.
Würden Menschen sich gegenseitig Nächstenliebe entgegenbringen, wie es die Bibel lehrt, wären Viele nicht gezwungen Rollen zu spielen, die ihre wahres „Ich“ verbergen.