Die Entwicklung queerer Vernetzungsstrategien: Von geheimen Treffen im Gasthof bis zu digitalen Plattformen

Queere Personen haben heute viele Möglichkeiten, sich zu vernetzen. Ob für schnelle Bekanntschaften, queere Freund*innenschaften, die große Liebe oder nur ein paar Dates -mittlerweile gibt es für jegliche Interessen die passende Plattform oder App. Grindr, Tinder, OkCupid, Bumble, Facebook und Instagram sind nur ein paar Beispiele dafür. Doch wie war es früher? Ein Blick zurück in queere Vernetzungsstrategien im Gmünder Kontext.

Mit wenigen Klicks wird ein Profil angelegt, Bilder und Lieblingsmusik von sich hochladen, der Standort geteilt und los geht’s. Ist das Profil einmal angelegt, können Menschen im eingestellten Radius sehen, wer du bist und wonach du suchst. Wer anonym bleiben möchte, ist auf die Offline-Variante angewiesen. Allerdings wird es immer schwieriger, sich im echten Leben kennenzulernen. Zumindest in Kleinstädten, wie zum Beispiel Schwäbisch Gmünd. Von Bars für queere Personen keine Spur, Veranstaltungen zum Vernetzen eher eine Rarität.

Ab in die Großstadt?
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es schon in den 1920er Jahren trotz gesellschaftlicher Repression und rechtlicher Einschränkungen verschiedene Wege gab, sich zu vernetzen und die Gemeinschaft zu stärken. Dies war besonders bedeutsam für die spätere Emanzipationsbewegung.

Um der strafrechtlichen Verfolgung nach §175 des Strafgesetzbuches zu entgehen, wurden geheime Partys und Treffpunkte vereinbart, in den Großstädten entstanden Bars und Clubs wie beispielsweise das Eldorado in Berlin. In ländlichen Gebieten sah das Ganze etwas anders aus. Der „Kreis der Freunde“, (-Verweis auf den Hauptartikel) ein heimliches Netzwerk schwuler Männer in Ostwürttemberg in den 1920er Jahren, traf sich regelmäßig freitagabends im Gasthof Stern in der Vorderen Schmiedgasse und sonntagnachmittags im Wachthaus bei Lorch. Einladungskarten dafür verteilten die Mitglieder an Freunde und andere Männer, bei denen eine homosexuelle Orientierung vermutet wurde.[1]

Einladungskarte zum Gmünder „Kreis der Freunde“ (Staatsarchiv Ludwigsburg, Best. F 263 I St 50 Image 0125)

Die Einladungskarte zum „Kreis der Freunde“ ist Teil einer ausführlichen Gerichtsakte, die Einblick in die Lebenswelt homosexueller Männer jenseits der urbanen Zentren in den 1920er Jahren ermöglicht. Netzwerk- und Emanzipationsstrategien kommen so zum Vorschein, aber auch Verfolgungsdruck und staatliche Repression.

Eine weitere Möglichkeit der Kontaktaufnahme waren Kontaktanzeigen in Zeitschriften und Magazinen.

Kontaktanzeigen Staatsarchivs Ludwigsburg (Staatsarchiv Ludwigsburg, Best. F 263 I St 50, Image 0005)

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 endete die relative Freiheit der queeren Szene abrupt. In den Großstädten wurden schwule und lesbische Bars geschlossen und unzählige queere Menschen wurden verfolgt und in Konzentrationslager deportiert.  Auch in Städten wie Schwäbisch Gmünd war der Verfolgungsdruck hoch.

In den 1950er und 1960er Jahren war Homosexualität in Westdeutschland noch strafbar und stark stigmatisiert. Während in Großstädten wie Berlin langsam wieder eine queere Szene entstand, blieb das Leben für gleichgeschlechtlich liebende Menschen in der Provinz weiterhin schwierig.

Erst in den 1970er Jahren, nach der ersten Reform des § 175 im Jahr 1969, der einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen entkriminalisierte, verbesserten sich die Möglichkeiten für Homosexuelle, sich kennenzulernen, erheblich. Schwulenbars, Clubs und die ersten schwul-lesbischen Organisationen boten sichere Räume und Plattformen für Begegnungen. Städte wie Berlin und Köln entwickelten sich zu Zentren der schwulen Subkultur. In ländlichen Gebieten blieb die Situation jedoch weiterhin schwieriger, da Diskretion und Geheimhaltung weiterhin notwendig waren, obwohl langsam auch hier Veränderungen spürbar waren. Das Magazin „du + ich“ bot beispielsweise die Möglichkeit, Kontaktanzeigen zu schalten.

1969: Erstausgabe der Zeitschrift du + ich (Quelle: wikipedia.de)
1975: Kontaktanzeigen aus der Zeitschrift du + ich (Quelle: Privatbesitz)

„Du und Ich“ bot eine seltene und wertvolle Möglichkeit für homosexuelle Menschen, sich als Teil einer größeren Gemeinschaft zu fühlen. Die Zeitschrift enthielt persönliche Anzeigen, in denen Menschen nach Freund*innenschaften, Beziehungen oder einfach nur nach Austausch suchten. Diese Anzeigen ermöglichten es Einzelpersonen, Kontakte zu knüpfen, die sie sonst nicht hätten herstellen können.

„Die Zeitschrift du + ich war sehr wichtig. In Gmünd gabs die nur an zwei Orten zu kaufen. Am Bahnhof und am Kiosk beim Pali-Kino.“
Joschi Moser

Durch die Veröffentlichung von Geschichten, Interviews und Artikeln über das Leben und die Herausforderungen, die queere Menschen zu meistern haben, trug „du+ich“ zur Sichtbarkeit der Community bei. Dies war ein wichtiger Schritt in Richtung gesellschaftlicher Akzeptanz und Emanzipation. Die Zeitschrift berichtete über Kultur, Veranstaltungen und politische Entwicklungen, aber auch über gesundheitliche und soziale Themen, was das Bewusstsein und die Solidarität innerhalb der Community stärkte. In einer Zeit vor dem Internet war sie ein unverzichtbares Werkzeug für viele, um sich sicher und diskret zu vernetzen und Teil einer größeren Gemeinschaft zu werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Möglichkeiten für queere Menschen sich kennenzulernen, in Deutschland über die Jahrzehnte hinweg erheblich gewachsen und vielfältiger geworden sind, während die Unterschiede zwischen Stadt und Provinz zwar kleiner, aber weiterhin spürbar sind. Sicher ist: Es mangelte weder damals noch heute an queeren Menschen, sondern an den Angeboten!

Literaturverzeichnis
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Kolb, Arnd: „Kreis der Freunde“ – Ein heimliches Netzwerk schwuler Männer in Ostwürttemberg in den 1920er Jahren, in: OSTALBum, Gemeinsames Blog der Kommunalarchive im und um den Ostalbkreis, https://ostalbum.hypotheses.org/3849, (Abruf 07.06.2024).
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Die Zeitschrift du&ich, in: wikipedia.de, https://de.wikipedia.org/wiki/DU%26ICH, (Abruf 02.07.2024).

Archivalische Quellen
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Bestand „Kreis der Freunde“ (Staatsarchiv Ludwigsburg, Best. F 263 I St 50).

[1] Siehe dazu: Kolb, Arnd: „Kreis der Freunde“ – Ein heimliches Netzwerk schwuler Männer in Ostwürttemberg in den 1920er Jahren, in: OSTALBum, Gemeinsames Blog der Kommunalarchive im und um den Ostalbkreis, https://ostalbum.hypotheses.org/3849, (Abruf 07.06.2024).

[2] In: wikipedia.de, https://de.wikipedia.org/wiki/DU%26ICH#/media/Datei:1969_Logo_Erstausgabe_Schwulenzeitschrift_du_+_ich._Magazin_f%C3%BCr_Freunde_von_heute.jpg (Abruf 02.07.2024).

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