In Reih und Glied! Ein anderer Blickwinkel auf Gmünds lange Militärgeschichte

Württembergische Armee, Militär im Kaiserreich, Reichswehr, Wehrmacht, US-Army, Bundeswehr – Schwäbisch Gmünd ist eine Stadt mit langer militärischer Tradition. Von 1802 bis 1991 war sie Garnison für verschiedene militärische Verbände.[1] Unzählige Soldaten, später auch Soldatinnen, lebten und liebten in unserer Heimatstadt. Viele von Ihnen waren homosexuell. Anlass genug, nach den queeren Aspekten der Gmünder Militärgeschichte zu fragen.

Sind Sie etwa schwul?
Der Raum roch nach Desinfektionsmittel. Im funktionalem Weiß standen diverse medizinische Geräte herum. Der Arzt, ein älterer Mann mit aufgesetztem Dienstgesicht, hatte mich bereits einem Belastungstest unterzogen und meinen Körper nach Auffälligkeiten abgesucht. Nun war meine Krankheitsgeschichte dran.

„Haben Sie noch irgendwelche Beschwerden oder ansteckende Krankheiten?“

Ich verneinte. Ein Assistent notierte leise auf einem Klemmbrett den Befund. Den kurzen Moment der Stille nutzte ich, um mein Anliegen vorzubringen.

„Herr Doktor, wie ist das eigentlich, wenn man homosexuell ist?“

Verärgert schaute er mich an.

„Ich hatte Sie doch gerade nach ansteckenden Krankheiten gefragt! Sind Sie etwa schwul?!“

Die aufgeführte Episode ereignete sich in den 1970er Jahren bei der Musterung von Joschi Moser in Schwäbisch Gmünd. Der verwunderte und verärgerte Ausruf des Arztes wirft ein Spiegelbild auf die Stigmatisierung von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen. Homosexualität war ein Ausmusterungsgrund. Nach Ansicht des Kreiswehrersatzamtes und großen Teilen der Bevölkerung war die Bundeswehr nur etwas für „richtige“ Männer. Schwule gehörten nicht dazu.[2]

Queere Militärgeschichte
Das Kreiswehrersatzamt in Schwäbisch Gmünd ist längst Geschichte. Es schloss 2021 seine Türen.[3] Die Stadt verlor damit ihre letzte militärische Einrichtung. Die Behörde, die sich zuletzt in der Bismarckstraße 22 befand, war für die Musterung junger Männer zuständig. Amtsärzte der Bundeswehr untersuchten die körperliche und geistige Eignung eines Menschen für den Wehrdienst. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 entfiel die Musterung für alle männlichen Staatsangehörigen in Deutschland. Nur Bewerber, die sich zur Ableistung eines freiwilligen Wehrdienstes entscheiden, unterlaufen heute noch einer Tauglichkeitsprüfung.

Die Redensart „Die Armee ist das Spiegelbild der Gesellschaft“ ist spätestens mit dem Ende der „Musterung für alle“ obsolet. Davor verwies sie auf die Tatsache, dass die Zusammensetzung der Streitkräfte eines Landes die sozialen, kulturellen und politischen Merkmale der Gesellschaft widerspiegelt. In anderen Worten: Die Armee repräsentierte die Vielfalt, die in der Bevölkerung existierte. Früher musste jeder junge Mann seiner Dienstpflicht nachkommen. [4] Deshalb befanden sich unter den Millionen von Wehrpflichtigen auch immer eine große Anzahl von Personen, die nicht der sexuellen oder geschlechtlichen Norm entsprachen. Davon künden nicht nur die vielen Skandale innerhalb des Militärs, die öffentlich verhandelt wurden: Der Fürst Eulenburg-Skandal (1907-1909), die Oberst Redl Affäre (1913), die Blomberg-Fritsch-Krise (1938) und die General Kiessling Kontroverse (1984). Gleichwohl und wahrscheinlich auch vor allem hatte der einfache Soldat unter erheblichen Diskriminierungen (militärischer) strafrechtlicher Verfolgung zu leiden. Schließlich galt der § 175 auch auf dem Kasernenhof. Das Ausmaß dieser Torturen lässt sie kaum abschätzen: Schwule Soldaten sind seit es organisiertes Militär gab diskriminiert und schikaniert worden. Im Nationalsozialismus nahm Intensität der Repressionen noch zu. Die Strafen wurden härter, das Vorgehen brutaler. Im schlimmsten Fall drohte Lagerhaft oder Todesstrafe. (→Zur Verfolgungsgeschichte im Nationalsozialismus siehe auch: Ernst Haug)

Nach dem Krieg und der Gründung der Bundeswehr änderte sich die Situation nur langsam. Homosexualität blieb in der jungen Bundesrepublik sozial geächtet und im Militär aus medizinischer Sicht eine amtliche Krankheit. Erst die Strafrechtsreform von 1969 brachte eine erste Wende. Einvernehmlicher Sex zwischen erwachsenen Männern ab 21 wurde entkriminalisiert, jedoch galt dies nur für das zivile Leben. Innerhalb der Bundeswehr mussten schwule Soldaten weiterhin mit schweren Konsequenzen rechnen. Degradierung, Entlassung und fehlende Beförderungen waren bis 1979 an der Tagesordnung. Homosexualität blieb ein Grund für die Ausmusterung und ein Ausschlusskriterium für Offiziers- oder Unteroffizierskarrieren.[5]

„Ich hatte einen Freund, der war Offizier bei der Bundeswehr. Der hatte die größten Bedenken, dass unsere Beziehung, schwere berufliche Konsequenzen für ihn hat.“
Joschi Moser

Bis ins Jahr 2000 hinein diskriminierte die Bundeswehr systematisch schwule Soldaten. Wer als homosexuell bekannt wurde, galt als Sicherheitsrisiko und hatte keine Chance auf eine berufliche Laufbahn. Disziplinarische Maßnahmen und unehrenhafte Entlassungen prägten das Leben vieler Soldaten. Der sogenannte Kujau-Erlass (2011) beendete diese Praxis schließlich und öffnete den Weg zu einer inklusiveren Armee.[6]

In der amerikanischen Armee, die seit den 1950er Jahren in Schwäbisch Gmünd die Bismarck- und Hardt-Kasernen nutzte, war der Verfolgungsdruck nicht geringer. Während des Kalten Krieges und in den Jahren danach betrachtete das Militär homosexuelle Soldaten als Sicherheitsrisiko. Es gab strenge Richtlinien, die die Entlassung von Soldaten vorschrieben, sobald ihre sexuelle Orientierung bekannt wurde. Die US Army führte systematische Untersuchungen und Verhöre durch, um Homosexuelle aufzuspüren und zu entlassen. Dies geschah oft aufgrund anonymer Denunziationen oder Verdächtigungen. Wer erwischt wurde oder dem Verfolgungsdruck nicht standhielt, der flog.

„Einer Soldatin wurde unterstellt, eine Lesbe zu sein. Sie haben sie solange unter Druck gesetzt, bis sie es schließlich zugab. Das war ein Verhör wie in einem schlechten Film. Danach hat man sie unehrenhaft aus der Armee geschmissen.
L.W. und R.L[7]

Das berüchtigte „Don’t Ask, Don’t Tell“-Gesetz, das 1993 in Kraft trat, erlaubte es homosexuellen Soldaten zwar, in der Armee zu dienen, doch mussten sie ihre Sexualität verbergen. Sobald ihre sexuelle Orientierung bekannt wurde, drohte ihnen die Entlassung. Dieses Gesetz führte zu der Entlassung von über 13.000 Soldaten und Soldatinnen, meist unehrenhaft und ohne Rentenansprüche.[8]

Heute hat sich die Situation in vielen Militärs weltweit verbessert. Die Bundeswehr z.B. fördert aktiv Vielfalt und Inklusion und unterstützt LGBTQ+-Soldaten durch spezifische Programme und Richtlinien. Doch der Weg zu voller Gleichberechtigung und Akzeptanz war und ist immer noch lang und steinig.

Untersuchung durch den Arzt während der Musterung im bayerischen Kempten (1968) (Quelle: Von HAUK MEDIEN ARCHIV / Alexander Hauk / www.bayern-nachrichten.de / promifoto.de aus de.wikipedia.org, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12871825)
US Army in Schwäbisch Gmünd, 1980er (Quelle: Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand Eduard Stanzel)
The Giant, Militärzeitung der 56th Artillerie-Brigade Schwäbisch Gmünd (Quelle: Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Zeitgeschichtliche Sammlung)
Bismarckkaserne in Schwäbisch Gmünd. circa 1925 (Quelle: Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd Bestand E06 Nr. 16)

Literaturverzeichnis
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Carmouché, Brett M: A History and Analysis of the United States Military’s Treatment of Homosexual Service Members, 1917-2010, in: Academia.edu, https://www.academia.edu/3449372/A_History_and_Analysis_of_the_United_States_Militarys_Treatment_of_Homosexual_Service_Members_1917_2010, (Abruf: 03.07.2024).
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Diskriminierung schwuler Soldaten in der Bundeswehr, Rehabilitierung und Entschädigung: Die institutionelle Diskriminierung wurde 2000 beendet, in: LSVD – Lesben- und Schwulenverband, https://www.lsvd.de/de/ct/1323-Diskriminierung-schwuler-Soldaten-in-der-Bundeswehr, (Abruf: 03.07.2024)
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Gmünder Tagespost, 09.04.2021, in: Gmünder Tagespost, https://www.gmuender-tagespost.de/ostalb/schwaebisch-gmuend/stadt-schwaebisch-gmuend/vgw-kauft-frueheres-kreiswehrersatzamt-90393039.html, (Abruf: 03.07.2024).
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Müller, Ulrich: Vom Musketier zum GI, Geschichte der Gmünder Garnisonen, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Schwäbisch Gmünd 2003.
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Storkmann, Klaus: Tabu und Toleranz, Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende, Zusammenfassung, S. 3-12, in: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Hrsg.), https://www.bmvg.de/resource/blob/2330284/bb61c1f05cdbaf621c48f10587637280/20200914-download-studie-umgang-mit-homosexuellen-soldaten-data.pdf, (Abruf: 03.07.2024).

Archivalische Quellen
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Interview mit Joschi Moser, 14.03.2024.
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Interview mit L.W. und R.L, 22.05.2024.
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Untersuchung durch den Arzt während der Musterung im bayerischen Kempten (1968) (Quelle: Von HAUK MEDIEN ARCHIV / Alexander Hauk / www.bayern-nachrichten.de / promifoto.de aus de.wikipedia.org, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12871825)
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US Army in Schwäbisch Gmünd, 1980er (Quelle: Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Bestand Eduard Stanzel)
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Bismarckkaserne in Schwäbisch Gmünd. circa 1925 (Quelle: Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd Bestand E06 Nr. 16)

[1] Einen Überblick über die Gmünder Militärgeschichte bietet: Müller, Ulrich: Vom Musketier zum GI, Geschichte der Gmünder Garnisonen, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Schwäbisch Gmünd 2003.

[2] Gespräch mit Joschi Moser, 14.03.2024.

[3] Gmünder Tagespost, 09.04.2021, in: Gmünder Tagespost, https://www.gmuender-tagespost.de/ostalb/schwaebisch-gmuend/stadt-schwaebisch-gmuend/vgw-kauft-frueheres-kreiswehrersatzamt-90393039.html, (Abruf: 03.07.2024).

[4] Ab der Gründung des Deutschen Reichs. Mit Ausnahme der Zeiträume 1919-1935 und 1945 – 1956.

[5] Storkmann, Klaus: Tabu und Toleranz: Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende, Zusammenfassung, S. 3-12, in: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Hrsg.), https://www.bmvg.de/resource/blob/2330284/bb61c1f05cdbaf621c48f10587637280/20200914-download-studie-umgang-mit-homosexuellen-soldaten-data.pdf, (Abruf: 03.07.2024).

[6] Diskriminierung Schwuler Soldaten in der Bundeswehr, Rehabilitierung und Entschädigung: Die institutionelle Diskriminierung wurde 2000 beendet, in: LSVD – Lesben- und Schwulenverband, https://www.lsvd.de/de/ct/1323-Diskriminierung-schwuler-Soldaten-in-der-Bundeswehr, (Abruf: 03.07.2024)

[7] Interview mit L.W. und R.L, 22.05.2024.

[8] Carmouché, Brett M: A History and Analysis of the United States Military’s Treatment of Homosexual Service Members, 1917-2010, in: Academia.edu, https://www.academia.edu/3449372/A_History_and_Analysis_of_the_United_States_Militarys_Treatment_of_Homosexual_Service_Members_1917_2010, (Abruf: 03.07.2024).

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