Politik und Identität: Erfahrungsbericht eines schwulen Aktivisten in Gmünd
Joschi Moser, Gründer und Vereinsvorsitzender des Zentrums für sexuelle Gesundheit in Schwäbisch Gmünd, bzw. AIDS-Hilfe, setzt sich seit über vier Jahrzehnten für die Rechte und Anerkennung queerer Menschen ein. Dass er dabei vor allem in den ersten Jahren und Jahrzehnten gegen enormen Widerstand ankämpfen musste, beschreibt er im Folgenden in einem persönlichen Erfahrungsbericht.
Im Herbst 1982 entschlossen sich mein Partner und ich, angesichts der aufgeladenen Stimmung zur sogenannten Wende, selbst politisch aktiv zu werden. Nachdem Helmut Schmidt (SPD) durch ein Misstrauensvotum als Regierungschef abgesetzt wurde, hieß der neue Bundeskanzler plötzlich Helmut Kohl. Daraufhin füllten wir am Infostand einer demokratischen Partei einen Aufnahmeantrag aus. Im Feld Vereinsmitgliedschaften gaben wir beide die homosexuelle Initiative Schwäbisch Gmünd (HIS) an, wo wir uns für die Gleichberechtigung nicht heterosexueller Menschen sowie die Abschaffung des § 175 einsetzten. Uns fiel schon auf, dass manche Funktionäre einen etwas angewiderten Blick auf dieses Formular warfen.
Da sich zu dieser Zeit jedoch junge Leute, wenn überhaupt, den Grünen zuwandten und von den damals etablierten Parteien nichts wissen wollten, wurde es doch gerne gesehen, dass wir die Jugendorganisation unserer Partei wiederbelebten. Dies sowohl in Schwäbisch Gmünd als auch im Landkreis. Der Aufbau im Jugendbereich gestaltete sich recht erfolgreich und bekam lediglich einen Dämpfer, als wir 1987 auf einem Kreisparteitag den Antrag stellten, die Bundestagsfraktion unserer Partei aufzufordern, einen Antrag zur Abschaffung des § 175 zu stellen.
Es entstand eine wilde Diskussion, in deren Verlauf der damalige Kreisvorsitzende unserer Partei die Aussage machte, er wolle prüfen, auf welch dubiose Weise der Vorstand der Jugendorganisation zustande gekommen sei und wolle alle aus dem Amt fegen. Sechs Wochen später war er nicht mehr im Amt, denn wir haben uns mit allen Mitteln bis in den Bonner Parteivorstand zur Wehr gesetzt.
Natürlich spürten wir, dass wir zumindest bei den männlichen Parteifreunden mehrheitlich nicht willkommen waren. Bei Parteiversammlungen zeigte man es uns besonders deutlich, wenn sich die Männer mit Handschlag begrüßten und am Tisch, wo mein Partner und ich saßen, zur Begrüßung lediglich mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte geklopft wurde. Überflüssig zu erwähnen, dass bei uns am Tisch fast immer nur Frauen saßen.
Davon unbeirrt kandidierte ich für die verschiedensten Ämter und wurde auch gewählt, und zwar nicht nur auf Orts- oder Kreisebene, sondern auch auf Landes- und Bundesebene. Auf letzterer brachte ich es bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft von Schwulen und Lesben meiner Partei. In meinen besten Zeiten hatte ich 17 verschiedene politische Ämter inne. Mein Leben drehte sich tatsächlich nur noch um meine politische Arbeit. Kleine Nadelstiche mit wohlmeinenden, aber durchaus böswilligen Bemerkungen konnte ich dadurch verschmerzen, dass ich von vielen Seiten aufmunternden Zuspruch bekam. Gleichzeitig musste ich feststellen, dass zwar mein unermüdliches Engagement gerne gesehen, aber ich als Person mit meinem Partner nicht ganz so gerne gesehen war.
Den Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung in einer landesweiten Diskussion über den zukünftigen baden-württembergischen Parteivorsitz. Zum selben Zeitpunkt musste ich feststellen, dass meine Akten aus der bundespolitischen Arbeit in einen Abstellraum verbannt wurden mit der Begründung, man würde hier regelrecht verseucht von diesem schwulen Zeugs. Ich habe darauf hin, genau wie mein Partner, nach 15 Jahren Parteimitgliedschaft die Konsequenz gezogen und habe mein Parteibuch zurückgegeben.
Die Ironie bei der Sache war dann noch, dass mein Parteiaustritt sich schnell herumsprach und ich noch am Abend desselben Tages sowie am nächsten Vormittag die Angebote zweier anderer Parteien erhielt, dort meine politische Arbeit weiterzuführen. Für mich zeigte sich damit, dass meine Arbeit, gerade auch als schwuler Mann, anscheinend doch Anerkennung fand. Allerdings wäre ich mir schäbig vorgekommen, hätte ich sofort gewechselt. Heute bin ich ganz froh, dass ich parteipolitisch neutral sein kann, kann jedoch mit Genugtuung sagen, dass ich inzwischen von sämtlichen demokratischen Parteien Angebote für eine Mitgliedschaft und Mitwirkung erhalten habe. Demnach erhielt meine politische Arbeit also doch noch Anerkennung, und zwar von vielen unterschiedlichen Seiten.