Ein Interview:
Ich bin nicht anders – ich bin ich. Trans in Schwäbisch Gmünd.
Der Kontakt war schnell hergestellt: ein paar Textnachrichten, ein langes Telefonat. Wir sind beide ungefähr im selben Alter und verstehen uns auf Anhieb sehr gut. Das Gespräch fließt. Diana erzählt mir von ihrem Leben vor und nach der Transition. Als Transition wird der Übergang von einem Geschlecht in ein anderes bezeichnet. Diana ist bis zum Mauerfall in der DDR aufgewachsen und dann in den 1990er Jahren nach Schwäbisch Gmünd gezogen. Ihre schonungslose Offenheit überrascht mich. Ich bitte sie, mir nicht zu viel zu verraten. Fragen, die bereits im Vorabgespräch beantwortet werden, nehmen den Antworten im eigentlichen Interview das Authentische.
Wir verabreden uns im Café Margrit. Zum Termin bin ich zu früh da und muss mir während der Warterei eingestehen, dass ich nervös bin. Es ist mein erstes Interview mit einer Trans-Frau. Ich habe in den letzten Monaten viel über den LSBTTIQ*-Kosmos gelernt. Etwa, dass transsexuell ein veralteter Begriff ist. Transgender oder einfach trans* trifft es besser, da es bei trans nicht unbedingt um die sexuelle Orientierung, sondern um das Geschlecht und noch viel mehr geht. Vor allem das Sternchen lässt Raum für die verschiedenen Identitäten. Trotzdem fühle ich mich unsicher, will keine falschen Begriffe wählen oder Fragen stellen, die als verletzend empfunden werden können. Als Diana den Raum betritt, ist das vergessen. Wir bestellen uns Kaffee und Cappuccino und schon früh ist klar, sie ist nicht anders. Sie ist ein Mensch, wie Du und ich.
Diana, wie hast du deinen Namen gefunden?
Es ist schwer zu erklären. Er ist mir irgendwie zugeflogen. Nicht erst heute. Der Name war schon immer in meinem Kopf. Ich habe ihn nicht jetzt ausgesucht. Diana, so wollte ich heißen, zumal ich meinen richtigen Namen nicht mochte.
Du warst bei Geburt von männlichem Geschlecht und bist heute eine Frau. Dazwischen war eine lange Reise. Wann begann sie?
Bei mir schon sehr früh. So gegen vier oder fünf, da habe ich die Kleider meiner Mutter angezogen und bin dann als Mädchen durch die Wohnung gelaufen. Und das hat sich dann immer mehr gefestigt. Ich habe mich damit einfach viel wohler gefühlt, als in Klamotten von Jungs. Auch mein Freundeskreis bestand damals überwiegend aus Mädchen. Klar, ich hatte auch zwei sehr gute männliche Freunde, aber ich war mir nicht sicher, ob ich mit denen darüber sprechen konnte.
Und wann hast du gemerkt, dass du dich dem dir bei deiner Geburt zugeordneten Geschlecht nicht zugehörig fühlst?
Das hat gedauert. Ich wusste lange Zeit nicht, was mit mir los war. Ich habe mich zu Frauen stärker hingezogen gefühlt. Ich habe den weiblichen Körper schon als Kind mehr gemocht, als den männlichen. Aber ich kann nicht behaupten, dass mir schon damals klar war, ich möchte Frau sein. Ich merkte nur, ich bin anders, anders als mein Bruder, anders als andere Jungs. Und vielleicht deshalb zurückhaltender, verschlossener. Meine Mutter hat das gemerkt: ‚Stimmt was nicht mit Dir? Lass uns das überprüfen.‘
Was heißt überprüfen?
Zum Psychologen zu gehen. Und da hieß es bald. ‚Bei dem stimmt was nicht. Der hat einen Knacks.‘ Eine richtige Diagnose wurde nicht gestellt. Ich habe das alle heruntergeschluckt. Ich dachte, ich akzeptiere es und lebe damit, dass ich ab und zu Frauenkleider trage und damit gut.
Hast Du vonseiten Deiner Familie Unterstützung erhalten?
Von meiner Familie habe ich bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr keine Unterstützung erfahren. Für meine Familie war ich ein halbes Mädchen, nicht ganz dicht.
Wann setzte so etwas wie ein Verstehensprozess ein? Wann hast du verstanden, dass du trans bist?
Das ist schwierig. Mir wurde als Kind oder später nicht gesagt, ich sei trans, schwul oder sonst irgendwas. Mir wurde gesagt, ich sei abnormal. Ich sei krank im Kopf und solche Geschichten. Das Wort trans kam überhaupt nicht vor. Erst später, nach der Wende, als wir zu Bekannten nach Gmünd gezogen sind, ist die ganze Sache in mir gewachsen. Mir hat nicht mehr gereicht, nur ab und zu Frauenkleider zu tragen. Über einschlägige Magazine bin ich auf das Wort trans gekommen. Hab darüber gelesen. Und mit Anfang 20 habe ich mir Auszeiten genommen. Da bin ich dann weggefahren nach Stuttgart und anderswo, zu Orten an denen ich mich als Frau ausleben konnte, mit Schminken und so. Und dann bin ich in München jemanden begegnet, die zu mir sagte, ich sei typisch weiblich, ich sei trans. Und danach habe ich mich gesehnt, einen weiblichen Körper zu haben, Frau zu sein.
Wie hast du dich informiert? Wir reden hier über die 1990er Jahre in der schwäbischen Provinz?
Das war schwer. Ich habe mich gefragt, wie macht man das? Wie kann man sich operieren lassen? Hier gab es ja niemanden, der so dachte wie ich. Im Fernsehen gab es keine Berichte. Es gab kein Internet, man konnte nichts googeln. Es gab kaum Zugänge. Es gab nur die Magazine. Später wurde es besser. Es war trotzdem noch ein langer Weg. 2006 wollte ich den letzten Schritt unternehmen. Geschlechtsangleichung, Namensänderung. Da kam mein Sohn dazwischen. Ich lebte in einer Beziehung und meine Frau wurde schwanger. Sie wollte nicht, dass ich mich operieren lasse. Und ich wollte sie nicht verlieren und ich wollte meinen Sohn aufwachsen sehen. Da habe ich versucht zurückzustecken, Mann zu sein. Das ging ein viertel Jahr gut, ein halbes Jahr gut und danach ging es nicht mehr gut. Ich habe mir wieder Sachen angezogen, dann gab es Ärger, Streit. Ich habe alles entsorgt und dann war es ein halbes Jahr gut und dann hat es wieder angefangen. Es ging rauf und runter und hat mich fast dazu gebracht, von einer Brücke zu springen. Ich stand schon oben. Mich hat gerettet, dass ich dachte: Ich will nicht als Mann sterben.
Wann hast du gesagt, es reicht. Ich will die Transition? Ich will Frau sein?
Das war 2018. Der Grund war, meine Frau hat mich verlassen, mein Sohn war weg. Und ich habe mir gesagt, es reicht. Ich bin frei, ich mach’s. Und das hat bei mir alle Hebel in Bewegung gesetzt. Mich öffentlich geoutet, Hormontherapie gestartet, Namensänderung beantragt. Ich musste das alles machen, sonst wäre ich vor die Hunde gegangen. Ich hätte meinen nächsten Geburtstag nicht mehr erlebt.
Änderung des Namens, Antrag bei der Krankenkasse – welche Schritte sind zu tun?
Um den Namen ändern zu können, musst Du erstmal vor Gericht einen Antrag stellen. Zwei psychologische Gutachten mussten bestätigen, dass Du trans bist. Da bin ich voller Elan hin. Beim zweiten sollte ich einen Text schreiben. Und obwohl ich sonst nie viel schreibe, bin ich aus dem Schreiben nicht rausgekommen. Ruckzuck waren 10 Seiten voll. Das war wie eine Befreiung. Und dann gilt es, 18 Monate als Frau zu leben, das ist Pflicht. Auch die Anträge für die Hormontherapie gingen richtig schnell. Und auch die OP-Termine bekam ich bald. Und jetzt ist mein Körper perfekt.
Gab es einen Moment, in dem Du das Gefühl hattest, nun endlich angekommen zu sein?
Den gab es, direkt nach der Operation. Ich habe die Bettdecke zur Seite geschoben und gejubelt.
Wie reagiert die Umwelt auf dich heute?
Positiv, sehr positiv. Ab und zu kam schon einmal ein blöder Spruch. Aber selten. Heute bewege ich mich ganz frei. Ich bin herzlicher und gelassener.
Zu meiner Lebenserfahrung gehört, dass es ein Spektrum an persönlichen Sichtweisen gibt, wer man ist und wie man sich fühlt – vor allem beim Thema Trans. Wie fühlst Du Dich? Als Frau oder als Trans-Frau?
Meine Identität ist ganz Frau, nicht als trans. Ich sehe mich als komplette Frau. Ich kann nur keine Kinder kriegen. Ich bin auch nicht divers. Es mag ja Leute geben, die sich darunter einordnen, ich sehe mich aber dort nicht. Ich bin nicht anders. Ich bin ich. Man muss seinen Weg suchen, finden und dann gehen.
Verzeichnis Gespräche
> Zeitzeugengespräch mit Diana H., Schwäbisch Gmünd, 26.04.2023.
Weitere Informationen und Kontakte
> TransInterQueer: https://www.transinterqueer.org/